Wie Maschinelles Lernen und Daten Antibiotikaverschreibungen verbessern können

Von Michael A. Ribers und Hannes Ullrich - Go to English Version

Antibiotikaresistenzen sind eine der größten gesundheitspolitischen Herausforderungen unserer Zeit. Fehlende finanzielle Anreize zur Entwicklung neuer Antibiotika stellen ein Hauptproblem für das Gesundheitswesen dar, welchem durch angebotsseitige Politikmaßnahmen begegnet werden kann. In der Vergangenheit haben sich jedoch schnell Resistenzen gegen jedes neu entwickelte Antibiotikum entwickelt und dadurch den therapeutischen Nutzen über die Zeit gesenkt. Ein Hauptaugenmerk der Gesundheitspolitik liegt daher auf der ärztlichen Verschreibungspraxis, welche eine Hauptrolle für den Werterhalt vorhandener Medikamente spielt. Resistenzfördernd können sowohl unnötige Überverschreibungen sein, die Bakterien Wirkstoffen aussetzen, aber auch Unterverschreibungen, die ein Überleben und eine Weiterentwicklung möglicherweise resistenter Bakterien erlauben.

BCCP Fellows Michael A. Ribers und Hannes Ullrich zeigen in einem neu erschienen DIW Diskussionspapier am Beispiel von Dänemark, wie eine Politikmaßnahme unter Verwendung umfassender Individualdaten und maschinellen Lernens bei vermuteten Harnwegsinfekten die Anzahl unnötiger Verschreibungen senken und die Anzahl zielführender Verschreibungen erhöhen kann. Sie finden, dass datenbasierte Vorhersagen so gut zwischen bakteriellen und nicht-bakteriellen Ursachen unterscheiden können, dass eine Reduktion von rund 7,24 Prozent der getätigten Verschreibungen möglich ist, ohne die Anzahl behandelter bakterieller Infektionen zu verringern.

Durch aktuell verfügbare Diagnosemethoden ist die Unsicherheit insbesondere bei Erstuntersuchungen hoch, so dass Behandlungsentscheidungen unter Unsicherheit zu Über- und Unterverschreibungen führen. Mikrobiologische Labortests können zwar potentielle Erreger identifizieren und Informationen über ihre Resistenzprofile liefern. Diese Informationen sind in der Regel aber erst nach einigen Tagen verfügbar, was oft der Dauer einer Behandlungseinheit mit Antibiotika entspricht. Sofortige Informationen über die Wahrscheinlichkeit einer bakteriellen Infektion können daher bei der Entscheidung hilfreich sein, ob eine Antibiotikabehandlung bis zum Eintreffen detaillierter Testergebnisse aufgeschoben werden kann oder direkt begonnen werden sollte.

Für die Anwendung des maschinellen Lernens, eines sogenannten random forest, werden Labortestergebnisse von Patientinnen und Patienten mit vermuteten Harnwegsinfektionen aus dem größten medizinischen Labor in Dänemark anonymisiert und mit reichhaltigen Administrativdaten verknüpft. Zu diesen Daten gehören die vollständigen Verschreibungs- und Behandlungshistorien, vergangene Krankenhausaufenthalte, Laborergebnisse und persönliche Eigenschaften wie Alter, Geschlecht, Berufstätigkeiten, Kommune der Wohnadresse, Haushaltsgröße und -art, Zivilstand und mehr. Die Autoren vergleichen datenbasierte Vorhersagen mit der ärztlichen Verschreibungspraxis und leiten daraus Regeln ab, die die Verschreibungspraxis verbessern können. Diesen Regeln liegt eine soziale Zielfunktion zugrunde, die den Nutzen von Antibiotikaverschreibungen gegen ihre Kosten in Form von Verursachung neuer Resistenzen abwägt.

Die Ergebnisse zeigen das Potential für datenbasierte Vorhersagen unter Verwendung von Methoden des maschinellen Lernens. So kann die verfügbare Masse und Komplexität an Daten auf eine einfache, nützliche Information reduziert werden und so einen Beitrag zur Lösung einer der größten Herausforderungen des heutigen Gesundheitssystems leisten: die effiziente Verwendung von Antibiotika vor dem Hintergrund schnell wachsender Resistenzen. Versuchsweise Umsetzungen in der Praxis sind aufgrund der potentiellen, wenn auch in diesem allgemeinärztlichen Kontext vermutlich überschaubaren, Risiken für einzelne Patientinnen und Patienten in Zusammenarbeit mit Ärztinnen und Ärzten nötig.

Dieser Beitrag ist in längerer Form als DIW Wochenbericht 19/2019 erschienen. Das dem Bericht zugrundeliegende DIW Diskussionspapier Nr. 1803 ist als Download frei erhältlich.