Die höchste Strafe in der Geschichte des EU Kartellrechts: Was bedeutet der Fall Google?

Von Tomaso Duso und Hannes Ullrich

Nach sieben Jahren und viel Gemunkel ist es raus: Google muss knapp 2,4 Milliarden Euro Strafe wegen des Missbrauchs seiner marktbeherrschenden Stellung im Markt für Internet-Suchmaschinen bezahlen. Dies ist die bei weitem höchste Strafe in der Geschichte des EU-Kartellrechts. Sofort wurde die Entscheidung gefeiert und kritisiert zugleich.

Worum geht es? 2010 leitete die EU Kommission ein Verfahren gegen Google ein, das sein Angebot Google Shopping an der Spitze seiner Suchergebnisse platzierte. Zentrales Argument war die Tatsache, dass Google seinen generischen Algorithmus, der die Rangfolge von Suchergebnissen nach Relevanz festlegt, nicht für Google Shopping benutzte. Als Konsequenz sollen Wettbewerber und Verbraucher benachteiligt und geschädigt worden sein. Obwohl die Details noch nicht veröffentlicht sind, können die bereits bekannten Kernelemente der Entscheidung unter die Lupe genommen werden.

Erster Kritikpunkt ist die Definition der zwei relevanten Produktmärkte, dem Markt für allgemeine Internet-Suchmaschinen, in dem Google eine marktbeherrschende Stellung habe, und dem Markt für Preisvergleichsdienste, in dem Google seine aus dem ersten Markt gewonnene Marktmacht missbraucht habe. Große Plattformen wie Amazon, Ebay und Facebook scheinen innerhalb keiner der beiden Märkte als Wettbewerber aufzutauchen.

Unklar ist, inwieweit die Zweiseitigkeit von Plattformmärkten berücksichtigt wurde. Zum einen ist daher zu vermuten, dass Nutzen oder Schaden auf der Seite der Händler und Werbenden nicht in die Entscheidung mit eingeflossen sind. Zum anderen wäre eben bei einer Berücksichtigung von Netzwerkeffekten – Konsumenten profitieren von mehr Händlern durch ein vielfältigeres Angebot, Händler von mehr Konsumenten – zu erwarten, dass sich nur wenige Shopping-Plattformen durchsetzen. Aber ist dies nur Google oder nicht auch Wettbewerber Ebay oder Amazon? Und wie wird sich der Markt nach dieser Intervention weiterentwickeln? Die Dynamik ist komplex. Strategisches Verhalten in vergangenen Jahren kann zu nur schwer vorhersehbaren zukünftigen Marktergebnissen führen. Der US-amerikanische Ansatz ist bislang von Zurückhaltung geprägt. Die EU-Kommission scheint einen anderen Weg zu gehen. Somit könnte die Entscheidung zu einem Präzedenzfall werden, der die europäische Wettbewerbspolitik in zweiseitigen Plattformmärkten weit in die Zukunft beeinflussen kann.

In einem weiteren Punkt bleibt die Kommission vage. Die zitierte Evidenz bezieht sich fast ausschließlich auf die Tatsache, dass der Internetverkehr auf konkurrierenden Preisvergleichsseiten durch Googles Verhalten stark abgenommen hat. Aber inwieweit wurden Verbraucher (geschweige denn Händler und Werbende) tatsächlich geschädigt? Ein Argument ist, dass der Missbrauch zu einer Reduktion der Innovation seitens Googles und anderer Preisvergleichsplattformen geführt hat. Dies habe über die Jahre zu einer geringeren Auswahl an innovativen Diensten für die Verbraucher geführt. Die empirische Beweisführung dafür und die Schadensfeststellung werden mit Spannung zu erwarten sein.

Schlussendlich hat die Höhe der Strafe Aufsehen erregt. In Anbetracht der Komplexität des Falles, der bislang unklaren Schadenstheorie, und der Tatsache, dass die bis jetzt höchste Strafe in Missbrauchsfällen - knapp eine Milliarde Euro gegen Intel - weit übertroffen wurde, stellt sich die Frage, ob die Kommission zu weit gegangen ist. Zwei Gründe könnte sie aber gehabt haben. Zum einen kann ein gerichtliches Verfahren Jahre dauern, wobei Gerichte in der Vergangenheit fast immer die Höhe der Strafe reduzierten. Somit könnte die hohe Strafe eine taktische Vorbereitung für eine lange gerichtliche Schlacht sein.

Mehr jedoch könnte die Kommission auf Abschreckung setzen. Nach den Fällen Microsoft und Intel schickt sie ein weiteres Signal, dass sie hart gegen zweifelhaftes Verhalten von mächtigen Unternehmen in den immer wichtiger werdenden digitalen Märkten vorgehen wird. Ob das Kalkül aufgeht, hängt davon ab, wie die Verhandlungen vor dem Europäischen Gerichtshof ausgehen werden.